Donnerstag, 5. Januar 2012

Lesebefehl

Um es kurz zu machen: Ab in den Buchladen des Vertrauens und "Gentlemen, wir leben am Abgrund" kaufen. Warum? Here we go.

Eine ganze Reihe hervorragender Bücher, die ein Sportteam über eine Saison begleiten, sind in den vergangenen Jahren erschienen. Beste Beispiele: "Fever Pitch" von Nick Hornby, "Eine Saison mit Verona" von Tim Parks und "Meine Saison mit dem FC" von Manuel Andrack. Während es hier aber stets um Fußball geht und die Saison "von außen", sprich: Aus Fansicht, erzählt wird, hat Thomas pletzinger mit "Gentlemen, wir leben am Abgrund" etwas ganz Anderes geschaffen: Nicht nur unterscheidet es sich in der Sportart von den prominenten Vorläufern, sondern auch in Sachen Perspektive: Der Berliner Schriftsteller war mittendrin.

Was das bedeutet? Pletzinger begleitete eine Saison lang das Basketballteam von ALBA BERLIN, achtmaliger Deutscher Meister, Vorzeigeclub der deutschen Eliteklasse, in den letzten Jahren aber im Rennen um die Meisterschaft in schöner Regelmäßigkeit von der Konkurrenz (Köln, Frankfurt, Bamberg, Oldenburg) übertrumpft. Eine Saison lang war Pletzinger, selber einst hochklassig im Basketball aktiv, immer mit dabei. Bei den Auswärtsfahrten, bei den Ansprachen in den Kabinen, bei den Spielen, bei den Flügen, beim Training. Und diese Nähe, die gegen Ende zu einer engen Bindung an das Team führt, macht den Reiz des nicht nur stilistisch tollen Buches aus.

Was bewegt Trainer, wenn sie in eine neue Saison starten? Was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie - nach wie vor vom eigenen Tun überzeugt - so unter Druck geraten, dass ihre Weiterbeschäftigung gefährdet ist? Wie gehen Spieler mit Siegen und mit Niederlagen um? Wie schafft man es, über einen schier endlosen Zeitraum von zehn Monaten die Spannung, die Konzentration und den Siegeshunger hochzuhalten? Pletzinger gibt darauf keine klaren Antworten, sondern beobachtet und protokolliert; gerade dadurch dürfte das Buch einerseits für Basketball-Fans, aber andererseits eben auch für Menschen interessant sein, die Sport immer auch mit einem fragenden Blick betrachten. Der Faszination für den Sport allgemein und den Basketball im Besonderen kann Pletzinger dank seiner präzisen Beobachtungen formidabel einfangen.

Über die Beschäftigung mit dem Team an sich hinaus machen vor allem auch die fein gezeichneten Porträts der Protagonisten den Reiz der 368 kurzweiligen Seiten aus. Was umtreibt den Macher Marco Baldi? Wie geht Patrick Femerling mit dem bevorstehenden Ende seiner Karriere um? Wer ist der Mensch Luka Pavicevic, der Deutschlands Basketball-Fans so polarisierte? Wer die Bundesliga aufmerksam verfolgt, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Aber auch alle anderen sollten zumindest reinstöbern, beste Unterhaltung ist garantiert. Eines bleibt derweil offen: Können Bamberger Fans dieses Buch in bestimmten Passagen mit normalem Blutdruck lesen?

Last but not least gilt es, den Verantwortlichen von ALBA BERLIN zu der Entscheidung zu gratulieren, die Begleitung des Teams durch Thomas Pletzinger zuzulassen.

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